Zwischen Freiheit und Verantwortung – Eine sozialliberale Betrachtung zur Debatte um die Regenbogenflagge am Bundestag.
Die Aussage von Friedrich Merz „Der Bundestag ist ja nun kein Zirkuszelt“ im Zusammenhang mit der Entscheidung, die Regenbogenflagge nicht mehr über dem Bundestag zu hissen, hat breite Kritik ausgelöst. Viele empfinden sie als abwertend, besonders gegenüber der queeren Community. Auch wenn diese Empörung verständlich ist, lohnt es sich, die Aussage differenziert zu betrachten – und dabei eine sozialliberale Perspektive einzunehmen, die auf Freiheit, Respekt und Verantwortung basiert.
Zunächst: Es ist legitim, zu diskutieren, ob und wann staatliche Institutionen wie der Bundestag symbolische Zeichen setzen sollen. Eine staatliche Neutralität in Bezug auf gesellschaftliche Gruppen oder Bewegungen kann ein wertvoller Grundsatz sein – nicht aus Gleichgültigkeit, sondern um zu verhindern, dass Parlamente zu Projektionsflächen für wechselnde politische Botschaften werden. Diese Position zu vertreten, ist nicht automatisch diskriminierend, sondern Teil eines liberalen Verständnisses von Staatlichkeit: Der Staat gehört allen – nicht nur denen, die gerade politisch sichtbar sind.
Doch so sehr dieses Argument sachlich Bestand haben mag, ist der Ton, den Merz wählte, problematisch. Der Begriff „Zirkuszelt“ im Zusammenhang mit der Regenbogenflagge ist mehr als nur unglücklich gewählt. Er transportiert – bewusst oder unbewusst – die Vorstellung, dass queere Sichtbarkeit lächerlich oder übertrieben sei. Sprache hat Wirkung, besonders wenn sie von politischen Spitzenvertretern kommt. Wer sich in einer Minderheit ohnehin oft marginalisiert fühlt, kann solche Worte als Zurückweisung empfinden. Und das zu Recht.
Gerade hier liegt der Kern einer sozialliberalen Haltung: Freiheit bedeutet nicht nur Meinungsfreiheit, sondern auch Verantwortung für die eigenen Worte. Es geht darum, Positionen mit Klarheit, aber auch mit Respekt zu vertreten. Merz hätte beispielsweise sagen können: „Ich halte das Hissen der Regenbogenflagge über dem Bundestag für nicht angemessen, weil ich den Staat in seiner Symbolik neutral halten möchte – ohne dabei die Rechte und die Würde queerer Menschen infrage zu stellen.“ Eine solche Klarstellung hätte die Debatte versachlicht, ohne Menschen vor den Kopf zu stoßen.
Eine Demokratie lebt nicht nur von Prinzipien, sondern auch vom Ton, in dem sie geführt wird. Wer Vielfalt ernst nimmt, muss in der Lage sein, Kritik zu üben, ohne abzuwerten – und Symbole zu hinterfragen, ohne Menschen zu verletzen. Das ist der Kern eines aufgeklärten Sozialliberalismus: Der Staat ist frei, aber nicht kalt. Er ist neutral, aber nicht gleichgültig. Und er ist streitbar, aber nicht respektlos.